Ergebnisse aus den Beobachtungen und Gesprächen

Insgesamt 477 Kinder und Jugendliche, 40 Fachpersonen (33 Lehrpersonen, 3 Mediatorinnen und Mediatoren, 4 Psychologinnen und Psychologen) aus 7 Schulen und 2 ZET aus dem Unter- und Oberwallis haben am qualitativen Teil dieser Studie teilgenommen. Die Analyse der erhobenen Daten hat es ermöglicht, vier Schlüsselelemente herauszukristallisieren. 

Instabilität des Phänomens 

image 9Die Analyse der Ergebnisse lässt darauf schliessen, dass das Phänomen instabiler ist als die Literatur oder unsere eigenen quantitativen Daten bisher aufzuzeigen vermochten. Die Tatsachen, dass es sich um eine Beziehungsdynamik handelt und dass das Phänomen systemischen Charakter hat, bringen rasche und regelmässige, ja sogar ständige Veränderungen der Rollen und Verhaltensweisen der jeweiligen Akteurinnen und Akteure mit sich. Obwohl es individuelle Laufbahnen gibt, die durch Viktimisierung und Ausschluss auf der einen oder Aggression gegenüber Anderer auf der anderen Seite geprägt sind, verdeutlicht diese Studie, dass die Mehrheit der Schüler/innen im Verlaufe eines Schuljahres phasenweise mehr oder weniger direkt und in unterschiedlicher Intensität mit diesem Phänomen konfrontiert sind, welches die Schule als Ganzes betrifft. Die in der Literatur definierten Rollen (Täter/in, Opfer, Zeuge/-in) sind durchlässig und die Schüler/innen schlüpfen häufig von einer Rolle in die andere. Ein Schüler (5-6 H) berichtet: «Aber manchmal, wenn ich helfe, belästigen sie mich nachher auch.» Es herrscht eine ständige Suche nach dem Gleichgewicht und die Rolle des nicht beteiligten (neutralen) Zeugen ist mittelfristig keine haltbare Position. Die Gruppendynamik bedingt, dass man sich für eine Seite entscheidet, jene der Mehrheit oder der Minderheit, die Seite des Unterdrückers oder des Unterdrückten. Um sich für eine Seite zu entscheiden, wägen mehrere Schüler/innen das Risiko ab, das sie mit einer Beteiligung an einer Mobbing-Situation eingehen: «Aber nachher werde ich ihm sagen, dass er übertreibt und aufhören soll... aber zu sehr ärgern will ich ihn auch nicht, sonst bin ich nachher dran.» (F., 9 OS). 

Schwieriges Eingreifen, Machtlosigkeit und Ressourcen

Die Durchlässigkeit der Rollen macht ein Eingreifen durch Erwachsene besonders schwierig. Unsere Studie legt einen starken Überdruss, ja sogar einen gewissen Leidensdruck seitens der Lehrpersonen offen. Eine Lehrerin erzählt: «Ich kann auch nicht die ganze Zeit Polizistin spielen, das ist nicht meine Rolle (…). Ich wollte nicht Polizistin werden und meine Zeit damit verbringen, Strafen zu verteilen, Raufereien und Streitereien zu schlichten». Diese Aussagen zeigen, dass die Fachpersonen sich Mobbing gegenüber machtlos fühlen und nicht einmal im Rahmen zahlreich besuchter Weiterbildungen Antworten finden können. Die direkte Konsequenz dieses Gefühls der Machtlosigkeit ist das Gefühl der Schüler/innen, dass die Lehrpersonen Mobbing gegenüber die Augen bewusst verschliessen. Eine Schülerin (10 OS) sagt, dass sie zur Schlichtung einer Situation gerne mit den betroffenen Personen reden würde, jedoch nicht mit einer Lehrperson, denen sei das sowieso egal. Die berufliche Erschöpfung diesem Phänomen gegenüber ist auch durch die fehlende Systematik beim Eingreifen begründbar, die wiederholt festgestellt wurde. Darin besteht ein Handlungsansatz zur Verbesserung der Situation im Wallis. Ausserdem werden nur selten erzieherische Partnerschaften (Eltern, Direktion, Lehrpersonen, Mediatoren, ZET) eingegangen, obwohl sie von den Fachpersonen, an welche die Probleme herangetragen werden, gefordert werden. Allerdings finden die Schüler/innen Ressourcen auf der individuellen Ebene wie Anpassungsstrategien (Coping: Flucht, Erstarren, Angriff), auf der Beziehungsebene dank der helfenden Anwesenheit bestimmter Erwachsener in der Schule oder auf institutioneller Ebene in Form von Sensibilisierungsaktivitäten in der Klasse. 

Häufung von Mobbing im Zusammenhang mit bestimmten Zeiträumen und Arbeitsformen

Neben den Interventionsstrategien, die zum Wohle aller Beteiligten verbessert werden müssen, deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass die Unterrichtsformen und die schulische Organisation das Auftreten von Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Mobbing mehr oder weniger begünstigen können. Montage und Freitage, alle Übergangszeiträume (Schulweg, Pausen, Einreihen, Warten im Kreis usw.) sind Zeiten und Orte, an denen Belästigungen besonders häufig vorkommen. Verfahren zur Gruppeneinteilung im Turnunterricht oder Wettspiele sind ebenfalls besonders anfällig – sie bringen Mobbing-Schemen ans Tageslicht. Auch jegliche Formen von Ungleichbehandlung begünstigen Konflikte. Es ist also möglich, auf diesen verschiedenen Ebenen präventiv zu handeln.

Verhältnis zur Norm und Diskriminierung

Das Verhältnis zur Gruppe und zur Norm ist zentral beim Auftreten des Phänomens, das auf Diskriminierung aufbaut. In den ersten Schuljahren sind Bemerkungen von Lehrpersonen insbesondere an jene Schüler/innen gerichtet, die sich der schulischen Norm nicht unterwerfen, was eine Ausgrenzung aus der Gruppe zur Folge hat. Eine Schülerin (5-6 H) erzählt: «Jedes Mal, wenn ich einen Strich gekriegt habe, lachten sie mich aus ».

Am Ende des mittleren Zyklus und in der OS werden hingegen jene stigmatisiert, die von gesellschaftlichen Normen und der Kultur der Gleichaltrigen abweichen (Dominanzverhältnisse, insbesondere zwischen den Geschlechtern, werden in den meisten Fällen nachgeahmt). Ein Jugendlicher (9-10 OS) erklärt: «Es gab eine andere Situation, eine junge Frau, die lesbisch ist – viele werfen ihr vor, Lesbe zu sein.» Zahlreiche Jugendliche werden auch an den geltenden Schönheitsidealen gemessen. Eine Jugendliche (9-10 OS) berichtet: «Als ich mich im Spiegel anschaute, habe ich mir gesagt, dass ich diese Klamotten nicht anziehen kann, weil ich mir dann in der Schule Kommentare anhören muss. Es war, als würde die Person direkt vor mir stehen und zu mir sagen: ,du wirst das anziehen und wenn du nachher in die Schule kommst, werde ich dir sagen, dass es dir überhaupt nicht steht.ʻ» Die Fachpersonen können diese komplexen Beziehungen berücksichtigen, um der Diskriminierung teilweise entgegenzuwirken, am Zusammenleben und der Inklusion zu arbeiten. Ausserdem können die Präventionsprogramme an die Entwicklungen im Verlaufe der Schulzeit angepasst werden.

 

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Downloads

Ergebnisse Primarschüler/innen
Ergebnisse Schüler/innen der Sekundarstufe I 

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